Berlin, 10.10.2016

Pressemitteilung: Unter der Dunkelheit wird alles versteckt
Der Kampf um die Erinnerung an das nationalsozialistische „Zigeunerlager“ Lety

„Es scheint, als wäre die Schweineverwertung im Nachbarland Tschechien wichtiger als das Gedenken an den Roma-Holocaust“, stellt der Vorsitzende des RomaTrial e.V. Hamze Bytyci fest. Im Konzentrationslager beim südböhmischen Lety wurden zwischen den Jahren 1942/1943 mehrere hundert Roma umgebracht. Seit 1971 steht am ehemaligen KZ-Gelände ein Schweinemastbetrieb, dessen Geruch ein würdiges Erinnern vor Ort bis heute verhindert. Den vierten Jahrestag der Einweihung des Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin wollen wir zum Anlass nehmen, am 13.10. in der Tschechischen Botschaft über dieses in Deutschland praktisch unbekannte Kapitel des Roma-Holocaust und den Kampf um eine angemessene Erinnerung zu diskutieren.

Das Lety-Lager stellt bis heute einen wunden Punkt der deutsch-tschechischen Geschichte dar: Es bedarf eines würdigen Erinnerungsorts sowie der Aufarbeitung von historischen Unklarheiten. Daher freuen wir uns sehr, dass S. E. Tomáš Jan Podivínský, Botschafter der Tschechischen Republik in Deutschland, das Thema an die deutsche Öffentlichkeit heranträgt und die Podiumsdiskussion einleitet. Wir wollen mit der Veranstaltung nicht nur einen neuen Impuls zur Vergangenheitsbewältigung setzen, sondern auch einen ehrlichen Ansatz der internationalen Zusammenarbeit bei der Diskriminierungsbekämpfung und Menschenrechtswahrung vorstellen.

Die Unwilligkeit, bzw. Unfähigkeit von bisher allen demokratischen Regierungen, tausende Schweine vom Ort eines ehemaligen KZ zu beseitigen, ist dabei nicht nur das sichtbarste Symbol des problematischen Umgangs Tschechiens mit der NS-Geschichte, sondern auch eine Manifestation der Jahrhunderte alten Diskriminierung von Roma in Tschechien. Auch Äußerungen von tschechischen Spitzenpolitikern wie dem ehemaligen Präsidenten Václav Klaus oder dem jetzigen Finanzminister Andrej Babiš, die den Genozid und die Funktion des Lety-Lagers bagatellisierten, sorgen immer wieder für scharfe Kritik seitens verschiedener Menschenrechtsorganisationen, haben aber keinerlei politische Konsequenzen. Darüber hinaus wurde die Geschichte des ehemaligen „Zigeunerlagers“ Lety bis heute nicht befriedigend aufgearbeitet. Während offizielle Stellen von 326 Toten sprechen, berichten ausländische Forscher wie Paul Polanski oder Markus Pape über Manipulationen der Listen von internierten Personen, die die tatsächlich viel höheren Opferzahlen verschleiern.

Unumstritten sind dafür die unmenschlichen Verhältnisse, die im Lager monatelang herrschten: extrem enge Unterbringungsräume, mangelhafte Ernährung, willkürliche Folter, Vergewaltigungen und vor allem katastrophale hygienische Bedingungen. Die Kapazität des Lagers betrug 300 Personen, offiziell wurden im Lager 1.308 Personen festgehalten – inoffiziell wahrscheinlich viel mehr.

Wie verstörend die fortwährende Existenz der Massenschweinemästerei für viele Angehörige der Opfer sowie für viele Roma und Menschenrechtler ist, brachte der Roma-Aktivist, Angehöriger einer Lety-Überlebenden-Familie und Gast unserer Podiumsdiskussion Jozef Miker zum Ausdruck: „Roma werden nicht als vollwertige Tschechen gesehen, denn wenn dem so wäre, wäre das Ding längst nicht mehr da. Wenn hier Tschechen getötet worden wären, würde hier ein Mahnmal stehen. Aber da hier Hunderte, vielleicht Tausende Roma starben, wird über alles ein Schleier der Dunkelheit ausgebreitet. Und unter der Dunkelheit wird alles versteckt.“

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Jozef Miker mit Romaflagge am historischen Ort des Lagers Lety, im Hintergrund die Schweinemastanlage, Mai 2016 © RomaTrial e. V.

Unter der Dunkelheit wird alles versteckt:
Der Kampf um die Erinnerung an das nationalsozialistische „Zigeunerlager“ in Lety

13. Oktober 2016, 18 Uhr
Botschaft der Tschechischen Republik, Wilhelmstraße 44, 10117 Berlin

Begrüßung
S. E. Tomáš Jan Podivínský, Botschafter der Tschechischen Republik in Deutschland

Einführung
Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Jozef Miker, Romaaktivist und Vorsitzender des Vereins „Konexe“

Vortrag
Markus Pape, Journalist und Autor, Prag

Podiumsdiskussion
Antonin Hradilek, Sonderbeauftragter für Holocaustfragen, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Tschechischen Republik,
Jozef Miker,
Markus Pape,
Mikuláš Vymětal, Pfarrer für Minderheiten der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder,
Wolfgang Wippermann, Freie Universität Berlin,
Patricia Pientka, Historikerin, Berlin (Moderation)

Kontakt:

Hamze Bytyci
info[at]romatrial.org
0173 45 98 235
romatrial.org

Pressemitteilung im pdf-Format zum Herunterladen hier.