Vom 5. bis zum 9. Dezember 2019 organisierten wir zum dritten Mal das Roma-Filmfestival AKE DIKHEA?. Das Festival, dessen Titel auf Romanes NA SIEHST DU? bedeutet, ist ein internationales Festival für Filme von und mit Roma und Sinti. Es stellt dem Publikum Geschichten vor, die Roma und Sinti selbst zu erzählen haben – vor und hinter der Kamera. Im Jahr 2019 brachte das Festival 15 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme nach Berlin.

„Wir leben noch“ – Eröffnungsabend am 5. Dezember

Für den Eröffnungsabend konnte das Festival einige prominente Gäste gewinnen: Neben dem Schirmherr des Festival, Dr. Klaus Lederer, der das Grußwort hielt, nahm auch der niederländische Holocaust-Überlebende und Blumenkönig Zoni Weisz die Einladung an. Im animierten Kurzfilm MEMORY BOXES aus der Regie des Künstlerischen Leiters des Festivals Hamze Bytyçi, der beim AKE DIKHEA? Weltpremiere feierte, erzählt er darüber, wie er mit seiner Traumatisierung durch den NS-Völkermord umgegangen ist. Anschließend führte die Historikerin Jana Mechelhoff-Herezi ein Zeitzeugengespräch mit dem Überlebenden.

Still vom Film MEMORY BOXES, Zeichnung: Gabi Jimenez

Zoni Weisz hat während des Nationalsozialismus seine Eltern und Geschwister verloren. Nach dem Krieg wurde er einer der führenden Floristen in Europa und arbeitete unter anderem für die niederländische Königsfamilie. 2011 hielt er als erster Vertreter der Sinti und Roma anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus eine Rede vor dem Deutschen Bundestag.

Darüber hinaus wurde am gleichen Abend der zweite animierte Kurzfilm

Still aus dem Film …DIE BRINGEN NUR DIE VERBRECHER WEG

DIE BRINGEN NUR DIE VERBRECHER WEG über die Auschwitz-Überlebende Zilli Reichmann uraufgeführt. Die Eröffnungsveranstaltung besuchten ca. 100 Besucher*innen.

Starke internationale Spielfilme

Anschließend an das Eröffnungsprogramm präsentierte AKE DIKHEA? den Spielfilm SEULE A MON MARRIAGE von Marta Bergman. Pamela, eine junge

SEULE A MON MARRIAGE von Marta Bergman

Romni aus Rumänien und alleinerziehende Mutter, kämpft darin für das Recht auf Selbstbestimmung und eine bessere Zukunft für ihre Tochter. Die Hauptdarstellerin Alina Serban, eine Roma-Schauspielerin aus Rumänien, diskutierte nach dem Screening mit dem Publikum und inspirierte an dem Abend unter anderen zahlreiche Roma-Jugendliche aus Berlin.

FLOAT LIKE A BUTTERFLY von Carmel Winters

Auch im Spielfilm FLOAT LIKE A BUTTERFLY der kanadischen Regisseurin Carmel Winter spielt eine junge Frau eine starke Rolle. Diese Gender-umgekehrte Version des Klassikers „Billy Elliot“, ist eine kraftvolle und zeitgemäße Geschichte über den Kampf der 15-jährigen Frances um Freiheit, Zugehörigkeit und das Recht auf Gegenwehr. Nach dem Film diskutierte der 16-jährige Nebendarsteller John Collins mit dem Publikum, und brachte dadurch authentische Perspektive eines jungen irischen Travellers ein. Für die Aufführung wurden 43 Tickets verkauft.

Der erfolgreiche ungarische Roma-Regisseur Árpád Bogdán und Preisträger des AKE DIKHEA? 2018 verarbeitet in seinem Spielfilm GENESIS die rassistische

GENESIS von Árpád Bogdán

Mordserie an Roma in Ungarn aus dem Jahr 2009 und präsentiert eine dramatische Darstellung vom plötzlichen Ende der Kindheit eines kleinen Roma-Jungen, von Sünde, Katharsis und Wiedergeburt. Leider musste der Regisseur aus familiären Gründen die Teilnahme am Festival kurzfristig absagen. Der Film musste spontan in einen größeren Kinosaal verlegt werden, um der Nachfrage entgegenzukommen.

Erfolgreiche Dokumentar- und Kurzfilme

Neben den drei Kinospielfilmen war auch der Dokumentarfilm MARGINA des mazedonischen Regisseurs Ljupcho Temelkovski sehr gut besucht: 60

MARGINA von Ljupcho Temelkovski

Besucher*innen sorgten für eine kuschelige Atmosphäre. Der Film bietet einen intimen Einblick in das Leben der Familie von Menan, die am Rande der europäischen Gesellschaft in Mazedonien lebt. Dieser Dokumentarfilm stellt eine Verbindung zwischen einer individuellen Geschichte und den globalen Strukturen von Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Rassismus her, welche viele Menschen dazu zwingen, aus ihrer Heimat zu fliehen. Neben dem Regisseur stand auch der Hauptprotagonist selbst für ein Gespräch zur Verfügung.

Beim Publikum sehr erfolgreich war auch die Kurzfilmsektion am Montag um 18 Uhr, in der die vier Filme MOUSIE von David Bartlett, 2. AUGUST von Charles Newland, ROADS FROM THE PAST von Grant Black und SA O ROMA von Daniel Petrovski vorgestellt wurden. 46 Besucher*innen verfolgten auch das anschließende Gespräch mit drei Regisseuren (Bartlett, Newland, Petrovski) und der britischen Roma-Aktivistin Lisa Smith.

Jung, queer und engagiert

 

WE, QUEER ROMA: VALENCIA von László Farkas

Aber auch junge und diverse Stimmen von Roma und Sinti aus verschiedenen europäischen Ländern gab es dieses Jahr zu hören. Im kurzen Dokumentarfilm WE, QUEER ROMA: VALENCIA vom ungarischen Roma-LGBTIQ-Aktivisten László Farkas beschäftigen sich queere Roma aus Spanien mit Fragen der mehrfachen Identität und des Lebens als Minderheit innerhalb einer Minderheit. Der Regisseur stand dem Publikum für Diskussion zur Verfügung. Der Kurzfilm wurde gemeinsam mit dem spanischen Dokumentarfilm SARA  der

SARA von a Cruells Lopez

Regisseurin und Medienaktivisten Eva Cruells Lopez gezeigt, in dem eine junge Romni aus Barcelona die Unterdrückung erforscht, unter der ihre Menschen während des Spanischen Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur gelitten haben – und entschließt sich darauf hin, die veralteten Strukturen ihrer Community zu ändern. Nach dem Film diskutierten die Eltern von Sara, Rafaela Salguero Moreno und Basilio Perona Cortes, die ebenfalls eine wichtige Rolle im Film spielen, mit dem Publikum.

Der Kurzfilm TOBY G. STREET FACTORY von der Roma-Tänzerin, Regisseurin und Doktorandin Rosamaria E. Kostic Cisneros dokumentiert die Tanzgruppe des polnischen Roma-

ALLA ZINGARA von Glória Halasz

Zuwanderers Toby Gorniak, mit der er die Jugend im britischen Plymouth inspiriert und vereint. Die Regisseurin stand nach dem Screening per Skype für ein Gespräch mit dem Publikum zur Verfügung. Der Kurzfilm wurde zusammen mit dem Dokumentarfilm ALLA ZINGARA der Regisseurin Glória Halász gezeigt, in dem sie die Geschichte des 100-köpfigen Budapester Roma-Sinfonieorchesters erzählt. Auch Glória Halász war persönlich anwesend und diskutierte nach der Aufführung mit dem Publikum.

Aufführung und Zeitzeugengespräch für Schulklassen

 

Am Freitag, 6.12., nahmen etwa 110 Berliner Schüler*innen am Programm für Schulklassen teil, wodurch die Kapazität des Kinosaals um 6 Personen überstiegen wurde. Die Veranstaltung wurde durch den Kurzfilm MOUSIE eröffnet, über den anschließend der Regisseur David Bartlett diskutierte. Er erklärte den anwesenden Jugendlichen, dass er mit der Geschichte einer 9-jährigen Sintiza, die sich 1936 in einem Berliner Varieté vor der Internierung im Marzahn-Lager versteckte, kein historisches Dokument erzählen, sondern eine Mahnung für die Gegenwart erschaffen wollte.

Nach der Aufführung von den zwei Kurzfilmen MEMORY BOXES und … DIE BRINGEN NUR DIE VERBRECHER WEG folgte ein 30-minütiges Gespräch von Zoni Weisz und den gerührten Jugendlichen, in denen er die eigene Verfolgung schilderte – den Film MOUSIE und den Regisseuren würdigte er mit der Anmerkungen, dass ihn der Schicksal des jungen Mädchen an sein eigenes erinnerte, denn auch er verbrachte lange Jahre im Versteck.

Vernetzung und Angebote fürs Fachpublikum

 

Die Vernetzung zwischen Filmemacher*innen, Aktivist*innen und Fachöffentlichkeit mit und ohne Roma-Hintergrund gehörte zu den wichtigsten Zielen des

AKE DIKHEA? Brunch, Foto: Stephanie Ballantine

Festivals. Für den passenden, entspannten Rahmen sorgten der Festival-Brunch am 8.12. und die Festival-Party am 7.12. im Damensalon Berlin.

Am 7.12. bot das Festival zwei Fachworkshops an: Im Workshop „Reflexionsraum Filmfestivals“ unter der Leitung der Filmwissenschaftlerin und Expertin für deutsch-jüdische Filmgeschichte Lea Wohl von Haselberg reflektierten ca. 20 Festivalveranstalter*innen, Kultur- und Medienschaffenden sowie andere Interessierte Fragen nach Organisation, dem Programm, den Zielen und dem Publikum von identitätsbasierten Filmfestivals.

AKE DIKHEA? Workshop Reflecting Film Festivals mit Lea Wohl von Haselberg, Foto: Roberta Stein

Im Workshop „Animierte Dokumentarfilme“ gab der mazedonische Filmemacher Zharko Ivanov theoretische Einführung in das Thema, die Geschichte der animierten Dokumentarfilme und erklärte den 15 anwesenden Besucher*innen auch praktisch die analoge Cut-Out-Animationstechnik.

In der Podiumsdiskussion „Visegrad-Forum: Selbstbestimmte Geschichten“ beschäftigten sich Expert*innen aus Polen, Tschechien und Ungarn mit der Frage, wie es gelingt, selbstbestimmte Geschichten in Zeiten von steigenden rassistischen Übergriffen, Hetzkampagnen gegen NGOs und rechtspopulistischen Politiker*innen zu erzählen. Die Veranstaltung wurde von ca. 30 Personen besucht.

Den Höhepunkt bildete der Abschluss-Dinner am 9.12., während dessen auch die diesjährigen Preisträger*innen gegeben wurden: Der Film GENESIS hat eine Special Mention der Festivaljury erhalten, der Kurzfilm MOUSIE eine Special Mention des Künstlerischen Leiters des Festivals. Mit dem Preis Bester Film wurde MARGINA ausgezeichnet und den Publikumspreis bekam SEULE A MON MARIAGE.

Preisträger*innen und Jurymitglieder von AKE DIKHEA? 2019, Foto: Stephanie Ballantine