2020 – Wat‘n Jahr…

Wer hätte vor einem Jahr gedacht, was alles auf uns zukommt – was unvorstellbar schien, wurde Realität. Im Guten wie im Schlechten. Zusammen mit euch und Ihnen möchten wir noch einmal zurückblicken und die Ereignisse im Jahr 2020 und unsere Arbeit reflektieren – und vor allem Danke sagen! Denn nur durch die Unterstützung vieler Kolleg*innen, Partner*innen und Förderer*innen, nur dank dem Zusammenhalt und der Solidarität haben wir es überhaupt durch dieses Jahr geschafft und oben drauf noch Einiges bewegt!


 

 

Hanau war kein Einzelfall

Gleich im Februar hat uns der rechtsterroristische Anschlag in Hanau zutiefst erschüttert. Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Ferhat Unvar, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun, Kaloyan Velkov, Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi wurden aus Hass kaltblütig ermordet. Nach dem Mord an Walter Lübcke und dem Anschlag in Halle war endgültig klar: So geht es nicht weiter!

Neue und alte antirassistische Bündnisse vereinten sich, viele Trauerveranstaltungen und Demos wurden organisiert – und natürlich brachte sich auch RomaTrial immer wieder ein:

Trauerdemonstration am 20. Februar 2020 am Hermannplatz           

Beerdigung von Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi  am 28. Februar in Hanau

Plakataktion ein Monat nach dem Attentat                             

Demonstration am 8. Mail, dem Tag des Zorns, am Hermannplatz

Demonstration am 19. August am Hermannplatz, 6 Monate nach dem Anschlag

VideoGedenkdemonstration ein Jahr nach dem Halle-Anschlag am 9. Oktober in Berlin-Kreuzberg, Redebeitrag von Estera
 

 


 

#Act4RomaLives: Corona und Antiziganismus

Doch damit hatte das Jahr die schlechten Nachrichten noch lange nicht ausgeschöpft: Im März schlug die Covid-19-Pandemie mit voller Wucht ein. Ein unbekanntes und weitgehend unberechenbares Virus hält bis heute die Gesellschaft im Griff.

Und hat für Roma* vor allem in Ost- und Südosteuropa gravierende, oft lebensbedrohliche Folgen. Nicht nur der Jobverlust, auch gezielte diskriminierende Maßnahmen gegen Roma*, verstärkte Polizeigewalt und tägliche Schikanen machten das Leben für viele Roma* kaum möglich. Ganze Siedlungen wurden abgeriegelt und damit tausende Menschen ersatzlos von der Grundversorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten und hygienischen Mitteln abgeschnitten.

Deswegen beteiligte sich RomaTrial an der Entstehung der Kampagne #Act4RomaLives, die vom Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas und der Beobachtungsstelle Antiziganismus in Europa durchgeführt wurde. In deren Rahmen gab es eine Social-Media-Aktion, eine internationale Konferenz zu Menschenrechten von Roma* während der Covid-19-Pandemie sowie ein Aufruf an relevante Bundestagsabgeordnete zum Handeln, verbunden mit einer Abgeordnetenschalte.

 


 

Doch auch in Deutschland sind Roma* und Sinti* nicht vor rassistischen Maßnahmen und antiziganistischer Hetze geschützt. Leider mussten wir im Zusammenhang mit der Pandemie gleich mehrere Fälle rassistischer Maßnahmen und Behandlung feststellen:
Von Opfern zu Hauptverantwortlichen in Göttingen 

Im Juni 2020 wurden Roma-Bewohner*innen des Iduna-Hauses von der Stadt und Presse prompt für Superspreader erklärt, ihre Stimmen, dass sie im Gegenteil nicht ausreichend von den Behörden geschützt wurden und dementsprechend die Leidtragenden sind, wurden kaum gehört. Eine Ausnahme bildet dieser Tagesspiegelartikel.
Corona-Ausbruch bei Tönnies

Ebenfalls im Juni hat sich in den Tönnies-Schlachthöfen ein Corona-Hotspot gebildet – unter den Schlachter*innen aus Rumänien und Bulgarien befinden sich auch viele Roma*, die durch die rassistische Diskriminierung in ihren Heimatländern zur Arbeit unter Sklavenbedingungen in Deutschland gezwungen werden. Auch hier mussten wir beobachten: Nicht nur dass Menschenleben nicht ausreichend geschützt werden. Sie werden durch hochrangingen Staatsvertreter*innen stigmatisiert: So wie vom NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU), der die eingereisten „Rumänen und Bulgaren“ als Ursache für die Ausbreitung des Virus bezeichnete. Dass dies oft die Kodierung für Roma* ist, wird immer wieder bewiesen.
Stigmatisierung in Berlin-Neukölln 

In Berlin-Neukölln entschloss sich im Juni wiederum der CDU-Stadtrat für Gesundheit, Falko Liecke, ganze Wohnhausblöcke, die mehrheitlich von Roma* bewohnt werden, pauschal unter Quarantäne zu stellen, ungeachtet dessen, wer mit wem Kontakt hatte. Dies wurde nicht mal nachverfolgt. Roma* wurden als „schwierige Bevölkerungsgruppe“ stigmatisiert, es wurde der Eindruck vermittelt, sie seien besonders undiszipliniert und unverantwortlich: „Die Überprüfung der Quarantäne ist ein Knackpunkt.“ (Zitat des Stadtrats Liecke). Bilder der Wohnhäuser mit lesbaren Adressschildern kursierten in fast allen Massenmedien, ihre Bewohner*innen fühlten sich rechtsextremen Gewalttaten ausgesetzt.

Zusammen mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas haben wir daher als Initiatoren des Bündnisses für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas einen offenen Brief an Herrn Liecke geschrieben.

Deutliche Worte fand auch Estera, die sich in unserem Projekt WIR SIND HIER! engagiert und selbst direkt von der Pauschalquarantäne betroffen wurde, bei einer Demo am 12. Dezember vor dem Neuköllner Rathaus.

 


 

Zeichnung von Damian James Le Bas

#DasDenkmalBleibt: Bedrohung des Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma Europas durch den Bau der S21

Im Juni kam dann die dritte Hiobsbotschaft an die Öffentlichkeit, die 2020 für Roma* und Sinti* in Europa bereit hatte: Das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas im Berliner Tiergarten soll für mehrere Jahre dem Bau einer neuen S-Bahn-Linie weichen. Die ursprünglichen Pläne der Deutschen Bahn, der direkten Nachfolgerin der Reichsbahn, die auch zehntausende Sinti* und Roma* in den Tod in den Konzentrationslagern transportierte, und der Berliner Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Regine Günther mit Unterstützung des Ältestenrates des Bundestags sahen für mehrere Jahre eine 20 Meter tiefe Baugrube direkt an der Schale des Denkmals vor, womit das Denkmal völlig zerstört worden wäre. Erst durch Proteste von Selbstorganisationen und der Zivilgesellschaft und in wiederholten Gesprächen konnte den Verantwortlichen vermitteln werden, dass dies unter keinen Umständen hinnehmbar ist. Doch das Verfahren bleibt weiterhin intransparent und manipulativ. Zuletzt präsentierte die Deutsche Bahn im November 2020 eine Variante, bei der die Erde eingefroren und der Tunnel ohne offene Bauweise gegraben wird. Dass dies kein Kompromiss ist, der akzeptabel wäre, und die Gespräche daher weiter gehen müssen, ist klar!

Demo „Schützt das Denkmal“ am 13. Juni vor dem Bundestag, organisiert von einem breiten Bündnis der Selbstorganisationen
Beitrag zum Band der Solidarität von #unteilbar am 14. Juni
Demo der Vielen am 9. November vor dem Denkmal
Gedenken am Denkmal anlässlich des Tags des Auschwitz-Erlasses am 16. Dezember unter dem Motto „Mer Dikhamen“)

 


 

WE AIR HERE!

All die Ereignisse haben uns in unserer Arbeit weiter vorangetrieben und selbst die Pandemie konnte nicht daran hindern! Am 8. April 2020 wollten wir die 2. Roma-Biennale WE ARE HERE! eröffnen, die natürlich pandemiebedingt verschoben werden musste. Dafür haben wir spontan die Online-Sendung am ROMADAY auf die Beine gestellt und sie WE AIR HERE! genannt – live aus dem Maxim Gorki Theater!

Rückblick auf den ROMADAY 2020
 

 

ICH GLAUBE AN DIE LIEBE

Anlässlich des 10. Jahrestages der Einweihung des Holocaust-Denkmals in Berlin am 10. Mai 2020 produzierten wir gemeinsam mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas den animierten Kurzfilm ICH GLAUBE AN DIE LIEBE.
Sabina van der Linden-Wolanski war vor zehn Jahren bei der Einweihung die Stimme der 6 Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden und die der Überlebenden. Durch Dagmar Manzels Stimme erzählt sie in dem Kurzfilm über das abrupte Ende ihrer Kindheit 1941, über die grauenvollen, gegen Jüdinnen und Juden gerichteten »Aktionen« der SS in ihrer damals polnischen Heimatstadt Borysław und über den traumatischen Verlust ihrer Mutter, ihres Vaters und Bruders. Doch ihre Geschichte ist nicht nur eine Geschichte des Schmerzes: Sie zeigt ebenfalls die heilende Kraft der Liebe, der Hoffnung und Versöhnung und die Möglichkeit eines Neuanfangs als Geschäftsfrau am anderen Ende der Welt.

 

 

 


 

 

„… die sind alle verbrannt worden.“ Erinnern an die Ermordung der letzten Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau 1944

Am 2. August jährte sich die  „Liquidation des Zigeunerfamilienlagers“ in Auschwitz-Birkenau zum 76. Mal. SS-Angehörige ermordeten in der Nacht auf den 3. August 1944 die fast 4.000 verbliebenen Sinti und Roma in Gaskammern – zumeist als arbeitsunfähig eingestufte Frauen, Kinder und ältere Menschen.  Zusammen mit der Stiftung Denkmal organisierten wir die Gedenkveranstaltung „… die sind alle verbrannt worden.“ Erinnern an die Ermordung der letzten Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau 1944.

Rückblick auf die Gedenkveranstaltung am 2. August
 

 

 

Foto: Marko Priske, ©Stiftung Denkmal
 


 

 

Roma-Filmfestival AKE DIKHEA? 2020

Zum vierten Mal fand das Roma-Filmfestival AKE DIKHEA? statt – pandemiebedingt online und damit zum ersten Mal weltweit! Vom 19. bis zum 23. November 2020 haben sich über 1.500 virtuelle Besucher*innen 17 Filme angeschaut, die Festivaleröffnung mit Idil Baydar oder die Podiumsdiskussion zu Intersektionalität im Film und TV mit Şeyda Kurt verfolgt, oder an dem Vernetzungsworkshop und Think Tank für Festivalmacher*innen „On Being Included“ teilgenommen.

Foto: Stephanie Ballantine

 

ONLINE PREMIERE: … DIE BRINGEN NUR DIE VERBRECHER WEG

Am 16. Dezember feierte ein weiterer animierte Kurzfilm aus unserer Koproduktion mit der Stiftung Denkmal seine Online-Premiere:
„Die bringen nur die Verbrecher weg“, hat Zilli Schmidts Vater gesagt, als die Nationalsozialisten die ersten Sinti und Roma verhafteten. Er irrte sich: Die gesamte Familie – eine „glückliche Familie“, wie Zilli sagt – wurde nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Die 96-jährige Sintiza berichtet in dem erschütternden und zugleich berührenden animierten Kurzfilm von der Ermordung  ihres Töchterchens und eines Großteils ihrer Familie in den Gaskammern, von ihrem Überlebenskampf, dem Weg zurück ins Leben und ihrem Glauben nach dem Völkermord.
Der Anlass der Online-Premiere ist mit einem tragischen historischen Ereignis verbunden: Am 16. Dezember 1942 ordnete der Reichsführer SS Heinrich Himmler den Auschwitz-Erlass an, nach dem Anfang 1943 die „familienweise“ Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich nach Auschwitz-Birkenau begann.

 

 

 


 

Import – Export: Freiwillige von ArtiXchoke Travellers

Es war paradoxerweise ausgerechnet das Pandemiejahr, in dem RomaTrial anfing, europäische und Bundesfreiwillige zu entsenden und zu beschäftigen – im Rahmen des neuen Projekts ArtiXchoke Travellers! Im Juli wurden Julia und Vanessa zu unserer Partnerorganisation Nakeramos nach Barcelona entsandt. Im September schloss sich Carla dem RomaTrial-Team als Bundesfreiwillige an, die wir schon 2017 bei einer unserer Balkan-Onions-Filmsommerschulen in Bukarest kennengelernt haben. Und ab November kam auch Lisa hinzu, eine Roma-Aktivistin, Filmemacherin und Journalistin aus Großbritannien.

 

 

 


 

 

WIR SIND HIER! Bildungsprogramm gegen Antiziganismus

Das Jahr 2020 starteten wir u.a. auch mit unserem neuen Demokratie-leben!-Projekt WIR SIND HIER!
Das länderübergreifende Projekt entwickelt in einem bundesweiten Vernetzungsprozess und zwei Fachtagungen den bisherigen Wissensstand im Bereich der (außer-)schulischen Bildung gegen Antiziganismus weiter und wendet die Ergebnisse in Schulen und Jugendeinrichtungen in Berlin, Brandenburg und Sachsen praktisch an. Eine besondere Rolle kommt dabei jugendlichen Sinti und Roma zu, die dazu befähigt werden, sich als Peer-Trainer*innen aktiv an der Entwicklung und Durchführung von Bildungsangeboten zu beteiligen. Das Ziel ist es, nicht nur einzelne Jugendliche, Lehrkräfte und Multiplikator*innen zu erreichen, sondern auf der Basis der gesammelten Erfahrungen ein Bildungstool zu entwickeln, das auf die Gefahren der gesellschaftlichen Spaltung und des Abdriftens in den Rechtsextremismus eingeht, die selbstbestimmten Perspektiven junger Roma und Sinti sichtbar macht, die Frage „Wer sind wir?“ neu verhandelt und den Zusammenhalt stärkt.

Die Jugendlichen des Projekts haben zu Weihnachten einen einzigartigen Video-Adventskalender entwickelt! Hier findet ihr einige davon und natürlich bei unserem Insta-Account auch den Rest.

 

 

 


 

Ganz schön viel los bei uns, und so soll es 2021 weitergehen! Aber erst nach einigen Tagen Selfcare-Pause! 

Ihnen und euch und euren Liebsten wünschen wir für die Feiertage alles Gute, viel Gesundheit und kommt gut ins neue Jahr 2021!

Bahtalo Kretshuno taj sastuno Nevo Bersh!