Seit März 2019 arbeitete die Unabhängige Kommission an Empfehlungen für Maßnahmen gegen Antiziganismus auf der Ebene des Bundes und der Länder. Am 9. Juni 2021 erschien der  wegweisende Abschlussbericht „Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation“. Zum ersten Mal wird der massive Rassismus gegen Sinti* und Roma* in den wichtigsten gesellschaftlichen Bereichen ausführlich wissenschaftlich dargelegt.

Forderungen der Kommission

Sofortiger Abschiebestopp

von Roma* aus Deutschland

Die Kommission fordert einen sofortiger Abschiebestopp von Roma* aus Deutschland, Abschaffung der Regelung der sog. „sicheren Herkunftsstaaten“ für die Balkan-Länder, Berücksichtigung der aktuellen kumulativen rassistischen Diskriminierung sowie der NS-Verfolgung bei der Gewährung des Bleiberechts.

Pauschale, weltweite Entschädigungs-zahlungen

Die Kommission führt den Begriff der Kollektivverfolgung ein, einhergehend mit der Forderung nach pauschalen, laufenden und weltweiten Entschädigungszahlungen für Sinti* und Roma*, die vor 1945 geboren wurden.

Entschädigung auch für die Zweite Generation

Auch die Zweite Generation soll für die massive Benachteiligung in der Wiedergutmachungspraxis und den fortgesetzten Antiziganismus nach 1945 entschädigt werden.

Eine ständige Bund-Länder-Kommission

Es soll eine ständige Bund-Länder-Kommission eingerichtet werden, um die Umsetzung zahlreicher in dem Bericht formulierter Empfehlungen auf Länderebene sicherzustellen.

Ein*e Beauftragte*r für Antiziganismus

Ein*e Bundesbeauftragte*r für Antiziganismus mit ausreichender Finanzierung und personeller Ausstattung soll eingesetzt werden. Die*der Beauftragte soll im Bundeskanzleramt angesiedelt werden. Als Teil der Exekutive soll sie*er Maßnahmen zur Überwindung von Antiziganismus und der Prävention ressortübergreifend koordinieren. Sie*er soll durch einen unabhängigen Kreis aus Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft beraten werden.

Wahrheits-kommission

zur Aufarbeitung des Unrechts in der BRD

Eine Wahrheitskommission soll das an Sinti* und Roma* begangene, gravierende Unrecht in der Bundesrepublik Deutschland aufarbeiten. Dazu zählen staatliche Behörden und andere gesellschaftliche Institutionen der Bundesrepublik Deutschland, wie z. B. Polizei, Justiz, öffentliche Verwaltung, Ausländer- und Sozialbehörden, Schulen, Jugendämter, Kirchen, Wohlfahrtsverbände.

Partizipations und Stärkung von Selbst-organisationen

Die Selbstorganisationen der Roma* und Sinti* sollen nachhaltig und unbürokratisch gefördert werden, Partizipation in allen staatlichen Gremien soll ermöglicht werden: von Rundfunkräten bis zum Bundestag! Die Heterogenität der Communitys muss dabei berücksichtigt werden.

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus setzte sich intensiv mit der historischen Entwicklung des Antiziganismus, mit dem Begriff selbst sowie mit den aktuellen Formen und Auswirkungen des Rassismus gegen Roma* und Sinti* auseinander.

In einer beeindruckenden Weise belegt die Kommission, dass sich „die Auswirkungen des NS-Völkermordes wie ein roter Faden durch die gesamte Darstellung ziehen.“ Wie stark das NS-Verbrechen und dessen fehlende Anerkennung und Aufarbeitung das heutige Leben von Roma* und Sinti* beeinträchtigt, hat selbst die Kommissionsmitglieder überrascht.

Der Bericht widmet sich u.a. Erscheinungsformen und medialen Tradierungen von Antiziganismus, Mechanismen des Antiziganismus in der journalistischen Berichterstattung sowie in der Alltagskultur wie Social Media oder Fußball.

Es wird sowohl die direkte Rassismuserfahrung von Sinti* und Roma* dokumentiert, als auch der institutionelle Antiziganismus dargestellt, u.a.:

  • im Bildungssystem
  • im Kontext der Repräsentation von Sinti* und Roma* in Lehrplänen und Schulbüchern
  • in kommunalen Verwaltungen
  • in Polizei- und Ermittlungsbehörden
  • in politischen Parteien und Bewegungen

Ein besonderer Augenmerk wird Antiziganismus im Kontext von Asyl und Bleiberecht gewidmet.